Interview mit Gerd Nettekoven – Geschäftsjahr 2023


Die Deutsche Krebshilfe trägt seit 50 Jahren maßgeblich dazu bei, die Versorgung von Krebspatienten zu verbessern. Auch im Jahr 2023 hat sie zahlreiche innovative Forschungsprojekte gefördert, krebskranken Menschen beratend beigestanden sowie umfangreich über das Thema Krebs informiert. Im Gespräch blickt der Vorstandsvorsitzende Gerd Nettekoven zurück.

Hier finden Sie den aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Krebshilfe.

Herr Nettekoven, mit welchen Themen hat sich die Deutsche Krebshilfe im Jahr 2023 besonders befasst?

Mit unseren umfangreichen Aktivitäten verfolgen wir immer das Ziel, die Versorgung krebskranker Menschen stetig zu verbessern – sei es beispielsweise durch die Förderung der Krebsforschung oder durch die Optimierung der onkologischen Versorgungsstrukturen. Auch die Information und Aufklärung über das Thema Krebs hat für uns aufgrund des großen Bedarfs nach wie vor einen ganz hohen Stellenwert. Ebenso die Krebsprävention, deren großes Potenzial für die Krebsbekämpfung viel zu wenig genutzt wird. Mit unserer Arbeit und vielen der von uns auf den Weg gebrachten Projekten und Initiativen setzen wir zudem immer auch wichtige Akzente in der Forschungs- und Gesundheitspolitik.

Ein besonderes Thema, mit dem wir uns beispielsweise im Jahr 2023 befasst haben, war der Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bei vielen Krebsarten und -erkrankungen konnten in den letzten Jahrzehnten durch Forschung bereits weitreichende Fortschritte bei der Diagnostik und Behandlung erreicht werden. Eine Ausnahme bildet jedoch das Pankreaskarzinom mit nach wie vor schlechten Heilungsmöglichkeiten.

Um den großen Herausforderungen zur Bekämpfung dieses Tumors verstärkt strategisch und nachhaltig zu begegnen, haben wir ein besonderes und wohl auch einmaliges Forschungsprogramm auf den Weg gebracht. Für eine Forschungs-Allianz mit mehreren wissenschaftlichen Arbeitsgruppen werden wir – dank der ungebrochenen Unterstützung aus der Bevölkerung – 40 Millionen Euro bereitstellen und interdisziplinäre innovative Vorhaben mit neuen Ansätzen sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der klinischen Forschung für fünf Jahre unterstützen.

Ein weiteres Thema, bei dem wir Handlungsbedarf gesehen und das wir in der Krebsforschung aufgegriffen haben, ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe für die Krebsbehandlung. Unsere Initiative hat das Ziel, den akademischen Bereich bei der Entwicklung neuer Substanzen für die Krebstherapie zu stärken, insbesondere für seltene Tumorerkrankungen, an der die Pharmaindustrie aus wirtschaftlichen Gründen kein oder nur geringes Interesse hat. Auch für Patientinnen und Patienten mit seltenen Krebserkrankungen brauchen wir gute therapeutische Möglichkeiten. In den nächsten fünf Jahren fördern wir im Rahmen dieses Forschungsprogrammes drei Verbundprojekte, die sich zudem vernetzen werden und von deren Arbeiten zukünftig auch andere Forschergruppen in Deutschland profitieren sollen.

Einen ganz wichtigen Akzent haben wir im Jahr 2023 aber auch bei unseren Bemühungen zur Weiterentwicklung der von uns initiierten Comprehensive Cancer Center (CCCs) – der Onkologischen Spitzenzentren – gesetzt. Mit den CCCs haben wir in den letzten 15 Jahren in Deutschland nicht mehr wegzudenkende Versorgungs- und Forschungsstrukturen geschaffen und so ein nachhaltiges Fundament für eine flächendeckende, vernetzte und zukunftsorientierte Patientenversorgung gelegt.

Gerd Nettekoven

Die Initiierung und Förderung dieser Zentren war jedoch immer auch mit dem Ziel ausgerichtet, dass sich diese in ihrer Region mit weiteren Versorgungsstrukturen – Kliniken, onkologischen Praxen oder Hausärzten – vernetzen, damit auch andere Einrichtungen, in denen Krebspatientinnen und -patienten versorgt werden, von dem hohen Versorgungsstandard der CCCs und deren Innovationen profitieren. In diesem Sinne haben wir ein gezieltes Programm auf den Weg gebracht, an dem alle 15 CCCs mit insgesamt 26 universitären Standorten beteiligt sind. Dieses Projekt – das sogenannte ONCOnnect – stellen wir im Kapitel „Helfen“ dieses Geschäftsberichtes noch näher vor. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir damit einen weiteren essentiellen Beitrag für eine flächendeckende Patientenversorgung auf höchstem wissenschaftlichen und medizinischen Niveau geleistet haben.

Gab es 2023 weitere Ereignisse, die einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen haben?

Ja, die gab es. Beispielsweise ist mir die AusstellungDa ist etwas. Krebs und Emotionen“ des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, an der die Deutsche Krebshilfe beteiligt war, sehr gut im Gedächtnis geblieben. Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Frage, welche Gefühle die Diagnose Krebs bei Betroffenen auslöst, und stellt das Thema in einen zeitgeschichtlichen Kontext. Über viele Jahrhunderte haftete der Krankheit Krebs ein regelrechtes Stigma an, sie bedeutete nur Tod und Leid.

Auch muss ich an unsere Mildred Scheel Cancer Conference denken. Die MSCC veranstalten wir bereits seit vielen Jahren als internationalen Fachkongress für die onkologische Forschung. Während der Corona-Pandemie mussten wir die Konferenz leider aussetzen. Wir waren daher sehr froh, dass sie im Jahr 2023 wieder, und zwar zum zehnten Mal, stattfinden konnte. Ich denke, es ist uns gelungen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem In- und Ausland ein hochkarätiges und breitgefächertes Programm zu bieten. Ein besonderes Augenmerk legen wir bei dieser Veranstaltung immer auch auf den wissenschaftlichen Nachwuchs und nutzen die Konferenz somit auch als Plattform, um Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit erfahrenen Forschern zusammenzubringen.

Ebenfalls ist mir ein Jubiläum noch gut in Erinnerung geblieben. Unsere „Dr. Mildred Scheel Akademie“ in Köln konnte im Jahr 2023 auf ein erfolgreiches 30-jähriges Wirken zurückblicken. Die Akademie hatten wir seinerzeit gegründet, um eine Weiter- und Fortbildungsstätte für alle Menschen zu schaffen, die sich täglich mit der Krankheit Krebs auseinandersetzen. Also für Ärzte und Medizinstudenten, in der Behandlung, Pflege und Betreuung von Krebspatienten tätige Menschen, für Mitglieder von Selbsthilfegruppen und für ehrenamtliche Helfer. Auch für Betroffene selbst bietet die Akademie ein breites Spektrum an Seminaren. Für die Qualität der Kurse sorgen jährlich zahlreiche externe Fachreferentinnen und -referenten. 30 Jahre erfolgreiches Wirken machen deutlich, dass die Deutsche Krebshilfe schon frühzeitig den Bedarf für eine solche Einrichtung gesehen hat.

Die Deutsche Krebshilfe ist auch in der Gesundheits- und Forschungspolitik ein wichtiger Gesprächspartner. Welche Impulse konnten Sie 2023 setzen?

Über unsere zahlreichen Anstöße und Förderinitiativen auf allen Gebieten der Krebsbekämpfung muss auch die Politik informiert sein, da es oft darum geht, Maßnahmen, die wir zur Verbesserung der Versorgung krebskranker Menschen auf den Weg bringen, zu verstetigen, was dann nicht mehr Aufgabe der Deutschen Krebshilfe sein kann. Gute Plattformen hierfür sind die beiden von der Politik initiierten Krebsinitiativen – der „Nationale Krebsplan“ des Bundesministeriums für Gesundheit sowie die „Nationale Dekade gegen Krebs“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In beide ist die Deutsche Krebshilfe eng involviert und wirkt in den relevanten Gremien mit – wie aktuell beispielsweise bei der Neuorientierung des Nationalen Krebsplans. Hier geben wir Impulse und platzieren die Themen, die uns im Hinblick auf eine verbesserte Patientenversorgung wichtig erscheinen.

Einen wichtigen politischen Impuls setzen wir zum Beispiel regelmäßig aber auch mit der „Nationalen Krebspräventionswoche“, die wir vor einigen Jahren gemeinsam mit unseren Partnern, dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und der Deutschen Krebsgesellschaft, initiiert haben und mit der wir das Ziel verfolgen, jedes Jahr ein Thema aus der Krebsprävention in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit zu rücken. Im September 2023 haben wir die Woche dem Krebsrisikofaktor „Übergewicht und Fettleibigkeit“ gewidmet. Allein in Deutschland verzeichnen wir pro Jahr rund 30.000 Krebsneuerkrankungen, die auf diesen Risikofaktor zurückzuführen sind. Unsere Forderungen an die Politik: Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Menschen leichter machen, ein gesundes Körpergewicht zu halten oder zu erlangen. Beispielsweise durch Werbeeinschränkungen für besonders übergewichtsfördernde Produkte sowie eine höhere Besteuerung von stark fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln.

Vor dem Hintergrund des großen Potenzials der Prävention für die Krebsbekämpfung haben wir das Thema bereits vor einigen Jahren auch in die „Nationale Dekade gegen Krebs“ eingebracht, um auf die auch zwingend notwendige Präventionsforschung hinzuweisen. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum haben wir zudem ein „Memorandum zur Krebs-Präventionsforschung in Deutschland“ erarbeitet und dieses im Jahr 2023 bundesweit Entscheidern der Gesundheits- und Forschungspolitik zukommen lassen.

Aufgrund unserer Eingaben und Hinweise wird die Krebsprävention auch bei der Neuorientierung des Nationalen Krebsplans in Zukunft einen hohen Stellenwert einnehmen.

Ich bin mir sicher, dass insbesondere unsere gemeinsamen Bemühungen mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass sich die politischen Stellen in unserem Land inzwischen ernsthaft mit dem wichtigen Feld der Krebsprävention befassen, mit dem Ziel, diese systematisch im Versorgungssystem zu verankern.

Welche Mittel standen Ihnen im Geschäftsjahr 2023 für Ihre Arbeit zur Verfügung?

Rund 158 Millionen Euro hat die Deutsche Krebshilfe im vergangenen Jahr an Einnahmen erzielt. Allein 86 Millionen Euro stammten aus Erbschaften und Vermächtnissen. Damit stellten die der Deutschen Krebshilfe anvertrauten Nachlässe erneut den größten Einzelposten unter unseren Einnahmen dar. Ein großer Teil der Erbschaftserlöse fließt in neue Forschungsprojekte – damit kommen wir dem Wunsch vieler Menschen nach, die uns in ihrem Testament bedacht haben. Aber auch die rund 351.000 Einzelspenden von Privatpersonen, Unternehmen oder auch Stiftungen mit über 34 Millionen Euro, die Erlöse aus Benefizaktionen sowie Jubiläums- und Kondolenzspenden zugunsten der Deutschen Krebshilfe haben unsere erfolgreiche Arbeit im vergangenen Jahr ermöglicht. Diese erfreulichen Zahlen zeigen, dass unsere Arbeit von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird und dass wir mit dem breit angelegten Spektrum unserer Aktivitäten richtig liegen. Auch unsere Wirtschaftlichkeit ist sicher mit ein Grund für unsere Glaubwürdigkeit: Unsere Kosten für Verwaltung und Spendenakquise sowie unsere sonstigen Kosten lagen 2023 bei insgesamt 6,4 Prozent. Die Projektnebenkosten beliefen sich auf 3,3 Prozent.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Die Deutsche Krebshilfe setzt sich nun seit 50 Jahren für krebskranke Menschen und ihre Angehörigen ein. Mit unserer Arbeit, insbesondere mit unseren Impulsen, den von uns geförderten Projekten und Initiativen sowie mit unserer umfangreichen Informations- und Aufklärungsarbeit haben wir Vieles bewirken können. Die Heilungsraten sind in dieser Zeit bei vielen Krebskrankheiten, auch aufgrund der von uns umfangreich geförderten Krebsforschung, gestiegen.

Ich bin nun selbst schon lange für die Deutsche Krebshilfe aktiv und das Jahr 2024 ist nicht nur deshalb für mich ein besonderes, weil unsere Organisation dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum begeht. 2024 ist auch das letzte Jahr, in dem ich als Vorstandsvorsitzender für die Deutsche Krebshilfe tätig sein werde. Mein Amt übergebe ich zum Ende dieses Jahres vertrauensvoll in die Hände meines Vorstandskollegen, Dr. Franz Kohlhuber. Es war mein Wunsch, dass er das Ruder in dieser wunderbaren Organisation übernimmt, weil ich weiß, dass er sich dieser Aufgabe ebenso gewissenhaft widmen wird, wie ich es in all den Jahren getan habe.

Denn auch in Zukunft werden wir in der Krebsbekämpfung vor erheblichen Herausforderungen stehen. Das zu Beginn dieses Interviews angesprochene Thema Bauchspeicheldrüsenkrebs ist nur ein Beispiel für künftige Herausforderungen.

Die Krebsforschung innovativ, strategisch und gezielt zu fördern, die Versorgungsstrukturen – wie die Krebszentren – stetig im Blick zu haben, zu optimieren und an aktuelle Versorgungsmöglichkeiten anzupassen, Beiträge zu leisten, um das große Potenzial der Krebsprävention zu nutzen und vor allem auch Patientinnen und Patienten in alle Prozesse und neue Vorhaben in der Onkologie mit einzubeziehen, um von deren Erfahrungen zu profitieren, sind ebenfalls nur Beispiele für künftige wichtige Handlungsfelder der Deutschen Krebshilfe.

In diesem Kontext stehen wir bereits mit vielen neuen und strategischen Vorhaben in den Startlöchern, auf die wir dann in unserem nächsten Geschäftsbericht – dem Bericht über unser Jubiläumsjahr – eingehen werden. Zu relevanten Themen wie Onkologische Zweitmeinung, Onkologische Pflege, Arzt-Patienten-Kommunikation, Begleitende Musiktherapie in der Krebsbehandlung oder Krebs und Armut werden wir in Kürze Initiativen ergreifen und Programme auf den Weg bringen, die alle das Ziel haben, die Versorgung krebskranker Menschen weiter zu verbessern.

Aber ohne das beispiellose Engagement der vielen Menschen in unserem Land, die uns finanziell und ideell unterstützen, wäre unsere Arbeit nicht möglich. Dafür sind wir sehr dankbar. Um all unsere Vorhaben auch in Zukunft umsetzen zu können, benötigen wir weiterhin das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Von daher wünsche ich mir, dass alle unsere Unterstützer und Partner auch in Zukunft an unserer Seite stehen, um gemeinsam den weiteren Herausforderungen in der Krebsbekämpfung begegnen zu können.

Weitere Informationen

Zahlen, Daten, Fakten sowie Mittelherkunft und -Verwendung finden Sie im aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Krebshilfe.

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