Weitermachen ist die einzige Option


Frankfurt (evb) – Zehn Tage nach seinem 18. Geburtstag erhält Paul Kleemann die Diagnose Leukämie. Statt den Start ins Erwachsenenleben zu genießen, muss er gegen Krebs kämpfen. Eine neuartige Therapie hilft Paul dabei, wieder gesund zu werden.

Paul nahm an einer von der Deutschen ­Krebshilfe geförderten Therapiestudie teil.

Für mich war sofort klar,
dass ich dabei bin.

Leukämie: Pauls persönliche Geschichte

Die Kulisse wirkt romantisch, fast kitschig, an diesem verregneten Donnerstagnachmittag, an dem Paul mit seinen Freunden draußen unterwegs ist. Während der Boden noch nass ist vom Regen der vergangenen Stunden, erhebt sich am Horizont ein kräftiger Regenbogen. Ein Symbol der Hoffnung, ein Zeichen für das Licht am Ende des Regenschauers. Die Jungs lachen über die romantische Szene, dabei passt sie so gut zu Pauls Geschichte. Denn der
heute 22-Jährige hat eine lange Leidenszeit hinter sich, die er inzwischen, auch mithilfe seiner Freunde, überstanden hat.

Leukämie Betroffener Paul und seine Freunde

Die Welt bleibt stehen

Im Spätsommer 2019 schleicht sich bei Paul Kleemann ein nerviger Husten ein. Da es ihm sonst gut geht, denkt er sich erst einmal nichts dabei. Schließlich steht Mitte Oktober auch sein 18. Geburtstag an, der ordentlich gefeiert werden will. Doch als der Husten nach der großen Feier immer noch nicht aufhört, lässt sich Paul bei seiner Hausärztin untersuchen. Am Tag darauf ruft er seine Ärztin von der Schule aus an, um die Blutwerte und die weitere Behandlung zu besprechen. „Sie hat mir gesagt, ich soll sofort nach Hause fahren. Mein Blutbild würde so aussehen, als hätte ich eine Leukämie“, erzählt Paul von dem Moment der Diagnose. „Da bleibt die Welt kurz stehen. Es war ein Schlag in die Magengrube.“ Direkt von der Schule geht es für Paul gemeinsam mit seinen Eltern in die Uniklinik Frankfurt. Bereits am darauffolgenden Tag beginnt die erste Chemotherapie. Die genaue Diagnose: Akute lymphatische Leukämie – ALL. Bei dieser Krebsart vermehren sich unreife weiße Blutzellen im Knochenmark ungebremst und stören so die Blutbildung.

Anstatt das Leben als junger Erwachsener zu genießen, Geburtstage zu feiern und mit seinen Freunden beim Frankfurt Marathon zu starten, startet für Paul nun ein Marathon von Untersuchung zu Untersuchung, von Behandlung zu Behandlung. Seine Ärzte weisen ihn auf eine Studie hin, die die Therapie von Leukämie-Patienten verbessern soll und die von der Deutschen Krebshilfe mit 2,1 Millionen Euro gefördert wird. In der Studie wird die Intensität der Therapie auf das individuelle Rückfallrisiko angepasst. Bei jedem Patienten kann das Ärzteteam flexibel auf den Krankheitsverlauf reagieren und so die Heilungschancen verbessern. Paul beschließt, an der Studie teilzunehmen. „Für mich war sofort klar, dass ich dabei bin. Ich persönlich hatte keinen Mehraufwand durch die Studie, außer, dass mal ein Röhrchen Blut mehr abgenommen wurde als gewöhnlich“, erzählt er.

Die ersten zehn Wochen verbringt Paul fast durchgängig im Krankenhaus, nur an Weihnachten und Silvester kann er nach Hause. Neben der Chemotherapie erhält er vorbeugend eine Schädelbestrahlung, die bei der Behandlung einer ALL Standard ist und einen Befall des Gehirns mit Leukämiezellen verhindern soll. „Das war die schlimmste Zeit für mich. Ich konnte gerade noch das Nötigste selbst tun, wie auf Toilette gehen. Alles war sehr anstrengend“, erinnert sich der eigentlich leidenschaftliche Handballspieler. „Eine Zeit lang dachte ich, ich schaffe das alles nicht.“

Leukämie Betroffener Paul lernt am PC

Während der langwierigen Therapie
lernt Paul fürs Abitur.


Wichtiger Beistand von Familie und Freunden

Unterstützung erhält er in dieser Zeit vor allem von seinen Eltern, die jeden Tag an seiner Seite sind, und von seinem älteren Bruder Moritz. Die kleine Schwester Johanna hingegen darf mit ihren zehn Jahren nicht mit auf die Station kommen, so die Regel der Klinik. Bei Kindern in diesem Alter sei das Infektionsrisiko zu hoch – eine zusätzliche Belastung für Paul und seine Familie.

Dankbar ist Paul daher besonders über die regelmäßigen Besuche seiner Freunde. „Über den Tag verteilt waren schon mal fünf, sechs Jungs und Mädels da. Manchmal war das Zimmer sogar zu klein für alle“, erzählt Pauls Mutter Claudia mit Freude und Rührung in der Stimme. Sie bringen ihm Essen vorbei, spielen zusammen Brett- und Videospiele und erzählen ihm den neusten Klatsch aus der Schule. Neben den Gedanken um seinen gesundheitlichen Zustand treibt Paul vor allem sein Schulabschluss um. „Meine größte Sorge war, dass ich mein Abitur nicht machen kann“, sagt er. Zwischen den Therapiesitzungen arbeitet er daher den versäumten Unterricht auf und lernt für die Prüfungen. Mit der Unterstützung seiner Lehrer, einem eisernen Willen und entgegen den Zweifeln seiner Ärzte kann Paul im Frühjahr schließlich wie geplant sein Abitur ablegen.

Leukämie Betroffener Paul mit Ball

Pauls Gesundheitszustand entwickelt sich gut, trotz einiger Rückschläge durch akutes Nierenversagen und zwei Lungenentzündungen. Doch immer kämpft er sich zurück. Schließlich sind keine Krebszellen mehr nachweisbar und das Behandlungsteam stuft sein Rückfallrisiko als gering ein, weshalb er keine Stammzelltransplantation benötigt – eine große Erleichterung für ihn und seine Familie. „Ich bin meinen Ärztinnen und Ärzten sehr dankbar – ohne die Therapiestudie wäre mir das wahrscheinlich nicht erspart geblieben.“ Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 750 Erwachsene an einer ALL. Während im vergangenen Jahrhundert die meisten Betroffenen schon nach wenigen Wochen daran verstarben, haben intensive Forschungsarbeiten dazu geführt, dass heutzutage mehr als die Hälfte der Patienten geheilt werden können. Um die Heilungschancen weiter zu erhöhen, fördert die Deutsche Krebshilfe seit 2016 diese weltweit größte Studie zur ALL bei Erwachsenen. Wie viele andere Patienten profitierte Paul dank der Studie von einem neuen und innovativen Behandlungskonzept.

„Als ich nach 42 Kilometern im Ziel ankam, war das ein besonderer Moment.“

Weitermachen ist die einzige Option

„Insgesamt war ich zweieinhalb Jahre in Therapie“, erzählt er. „Im Winter 2021 war ich schon so weit wieder fit, dass ich mein Studium beginnen konnte.“ Die Wahl des Studienfachs wurde dabei von der Krebserkrankung mit beeinflusst. Statt des ursprünglich angedachten Sportstudiums, fällt Pauls Wahl nun auf Angewandte Mechanik.

Auch beim Sport findet der Frankfurter langsam wieder zu alter Form zurück. Neben seiner Rückkehr in einen Handballverein setzt er sich ein ehrgeiziges Ziel: die Teilnahme am Frankfurt Marathon nachholen. Im Oktober 2023, genau vier Jahre nach seiner Krebsdiagnose, ist es schließlich so weit. „Als ich nach 42 Kilometern im Ziel ankam, war das ein besonderer Moment. Ich hatte Tränen in den Augen, weil ich wusste, dass das nicht selbstverständlich war.“

Paul sagt, seine Krebserkrankung habe körperlich und psychisch Spuren hinterlassen. Er sei durch die Erfahrungen mit der Krankheit schnell erwachsen geworden und wisse die alltäglichen Dinge nun vielmehr zu schätzen. Anderen Krebsbetroffenen möchte er daher Folgendes raten: Weitermachen!

Es geht immer weiter. Ich würde niemanden anlügen und behaupten, dass es wieder wird wie davor. Aber man muss sich durchbeißen und dann kommen auch wieder die schönen Dinge im Leben.

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